Schon lange bevor wir unsere Reise nach Argentinien im August 2021 antraten, gab es sie: Die Vision, eines Tages mit einem originalen Land Rover Defender durch Patagonien zu cruisen. Warum genau ein Defender? Er verkörpert einfach genau das, was es auf einer Abenteuer-Reise durch die Natur, abseits der Zivilisation braucht: Eine einfache Handhabe, eine ausgesprochene Robustheit und höchste Zuverlässigkeit – verbunden mit seinem einzigartigen Sound und seinem unvergleichlichen Charme. Ob Sonne, Schnee, Wasser oder Sand – mit einem Defender geht’s einfach immer vorwärts. Egal ob steil hinauf oder rutschig bergab – er bringt einen immer sicher ins Ziel und wenn doch mal etwas sein sollte, lässt er sich von jedem Mechaniker, der einen Funken Ahnung von Diesel-Motoren hat, reparieren – zumindest provisorisch, bis zur nächsten Werkstatt. Allerdings existierte diese Version bis dato nur in der Theorie. Erst als unsere Reisepläne konkreter wurden, reifte die Vision mehr und mehr zum Plan. So nutzen wir bereits die letzten Wochen vor unserer Abreise aus Deutschland zur Online-Recherche nach gebrauchten Land Rover Modellen in Buenos Aires. Diverse Internetseiten wurden studiert und erste Kontakte aufgenommen. Letztlich war aber klar: Die definitive Suche muss vor Ort stattfinden. Gesagt, getan – so verbrachten wir direkt unsere erste Quarantäne-Woche nach unserer Ankunft in Buenos Aires damit, alle online verfügbaren Angebote an gebrauchten Defendern zu durchforsten. Und wir wurden auch schnell fündig. Mit Mauricio hatten wir zunächst ein super Telefonat, in dem wir die Details abklärten, ehe wir uns an einem der ersten freien Samstage im Westen von Buenos Aires zu einer Besichtigung trafen. In Südamerika ist es üblich, sich bei Autobesichtigungen zunächst eher nicht zuhause zu treffen. So hatten wir die tolle Idee uns auf dem Parkplatz eines Shopping-Centers zu verabreden. Als wir ankamen, war jedoch schnell klar, dass diese Idee ein regelrechter Flop war: Das Shopping-Center verfügte leider nur über eine Tiefgarage mit einer Durchlasshöhe von weniger als zwei Metern – zu niedrig für einen Defender. So disponierten wir kurzfristig um und trafen Mauricio in einer Seitenstraße hinter dem Einkaufszentrum. Offenbar hatte es ihm nicht mehr gereicht, ihn vorher zu waschen – die Matschflecken hatten aber auch etwas sehr Authentisches =) Ansonsten stand sein Defender vom Baujahr 2001 sensationell da und schimmerte im eleganten Dunkelblau. Bequeme schwarze Ledersitze und ein Bord-Computer mit Monitor waren fast schon etwas zu viel Luxus. Einziger Wehrmutstropfen war ein dicker Riss in der Frontscheibe, die sich aber problemlos austauschen ließ. Nach einer Probefahrt waren wir bereits hin und weg und verabschiedeten uns mit dem Gedanken, dass das bald unser Defender sein würde. Mauricio wollte sich noch mit seiner Familie absprechen, ob sie ihn – schweren Herzens – wirklich verkaufen wollten. Einige Tage später waren wir uns dann am Telefon auch bereits über den Preis einig, als uns ein Detail zu schaffen machte: Mauricios Defender verfügte über den neuwertigen TD5-Motor, dem ersten der Defender-Generation, der elektronisch gesteuert und im Fall eines Defekts über einen Scanner gewartet werden musste. Je mehr wir recherchierten und je länger wir uns mit dem Thema beschäftigten, desto mehr stellte sich diese Besonderheit als eventuelles Problem heraus. So baten wir Mauricio um Bedenkzeit und verschlagen eine Woche lang jegliche Erfahrungsberichte in diversen Internetforen, telefonierten mit verschiedenen Besitzern und informierten uns bei Werkstätten und Mechanikern im Süden. Letztlich war die Meinung der Leute klar: Bei unserem Vorhaben besser Finger weg vom neuen TD5 und lieber Ausschau nach einem älteren, aber deutlich einfacher zu handhabenden TDi-Motor halten. Nach langem hin und her behielt letztlich der Verstand die Oberhand und wir entschieden uns schweren Herzens gegen Mauricios Defender und begaben uns erneut auf die Suche – jetzt mit dem Fokus auf Modellen mit TDi-Motoren bis Baujahr 2000.
Es folgten zwei weitere Besichtigungen in La Plata, das ca. eine halbe Stunde außerhalb von der Hauptstadt in der Provinz Buenos Aires liegt. Zunächst trafen wir uns mit Juan, der uns seinen ebenso blauen Defender aus dem Jahr 2000 – mit TDi-Motor ausgestattet – vorstellte und sogar sofort selbst fahren lies. Dies ist in Argentinien äußerst unüblich, kam uns aber natürlich sehr entgegen. So legten wir auf der Probefahrt die ersten Kilometer in einem Defender überhaupt zurück und es fühlte sich grandios an. Klar war aber auch schnell, dass bei Juans Defender einiges zu tun wäre: Neuer Turbo, erweiterte Fahrersitzverstellung für unsere langen Beine und vor allem eine kleine Renovierung des Innenbereichs – abgesehen von den schwarzen Ledersitzen. Auch außen sah man ihm die über 20 Jahre doch sehr an, zumal Juan nicht genau wusste, wie viele Besitzer er vor ihm schon hatte. Preislich kam er uns zwar entgegen und lag unter Mauricios Angebot, letztlich überzeugte uns sein Defender aber nicht zu 100 % und so sagten wir auch ihm ab. Beim zweiten Besuch in La Plata hatte sich die Besichtigung quasi schon nach wenigen Minuten erledigt. Der rote Defender aus dem Jahr 1996 wurde von einem Gebrauchtwagenhändler angeboten, der leider so gut wie überhaupt keinen Plan von seinem angebotenen Fahrzeug hatte. Zumal war der Defender leider in einem erbärmlichen Zustand, der darauf schließen ließ, dass er in den vergangenen Jahren ganz schön gelitten hatte. Enttäuscht und desillusioniert traten wir die Heimreise an und ließen das Thema erstmal eine Weile ruhen, ehe wir eines morgens unseren Augen nicht trauten. Ausgerechnet in Quilmes, dem Vorort von Buenos Aires, in dem Marinas Familie lebt, wurde ein dunkelgrüner Defender angeboten: Baujahr 1997, County-Version, 200.000 km, 2. Hand und in einem sensationell gepflegten Zustand. Wir konnten es kaum glauben und kontaktierten Luis umgehend. Preislich lag er zwar etwas über den bisher besichtigten Modellen, aber immer noch innerhalb unseres Limits. Und als wir wenige Tage später Luis einen Besuch abstatteten, war klar: Das ist ein Volltreffer. Luis hatte den Defender vor knapp 15 Jahren von einem Deutschen gekauft und ihn seit dem in seiner Garage gehegt und gepflegt. Viel unterwegs war er mit ihm nicht und eigentlich wollte er ihn auch nicht verkaufen. Es waren viel mehr seine Kinder, die ihm ans Herz legten, doch endlich auf ein moderneres Gefährt umzusteigen. Dass sich auf seine Anzeige so schnell jemand meldet, hätte er nicht gedacht und wir konnten es nicht fassen, dass so ein Schmuckstück die ganze Zeit in Marinas Heimatort in seiner Garage geschlummert hatte – Zufälle gibt’s! Nach einer Probefahrt mit Luis war klar: Das wird unser Defender. Danach machten wir uns auf die Suche nach einem Mechaniker, der etwas von Land Rover verstand. Auch hier wurden wir völlig überraschend direkt in Quilmes fündig, wo wir die Werkstatt von Gastón fanden. Wir statten ihm einen Besuch ab und er zeigte uns voller Freude seine Land Rover Schätze, an denen er gerade bastelte. Auf Luis Defender angesprochen, den er bestens kannte, meinte er nur: „Den könnt ihr mit verschlossenen Augen kaufen!“. Bei Gastón hatten wir von Anfang an ein gutes Gefühl und ein gewisses Grundvertrauen in seine Meinung, so dass wir uns mit Luis ein paar Tage später am Telefon einigten und nun nur noch auf den vereinbarten Übergabetermin warten mussten. Bis dahin galt es noch einige Formalitäten zu erledigen und dann war es endlich so weit. Nach der Geldübergabe und der offiziellen Umschreibung hatten wir wirklich unseren eigenen Defender – einen Land Rover Defender 110 2.5 TDi, 4 Zylinder, 113 PS! Unsere erste Fahrt führte uns natürlich zu Marinas Haus und als wir ihrer Schwester Lucia gerade unser neues Schmuckstück zeigten kam plötzlich ihr Hund Simon wie aus dem Nichts angerannt und sprang durch die offene hintere Türe hinein. Das war ein Zeichen und damit war unser Defender offizieller Teil der Familie – bzw. sie, denn wir tauften sie fortan auf den Namen „La Gaucha“!
Die spannendste Frage nach der Familientaufe war, ob sie durch das Tor des Innenhofparkplatzes unseres Appartements in Buenos Aires passen würde. So kam der kritische Moment und weniger als 2 cm Luft zwischen ihrem weißen Dach und der Torwand ließen sie gerade so durchrutschen – Maßarbeit, aber damit hatte sie ihren Schlafplatz im sicheren Innenhof für die kommenden Wochen sicher. Passenderweise hatte Mari gerade erfolgreich ihre Führerscheinprüfung abgelegt, so dass es ab sofort auf Tour gehen konnte. Die erste Ausfahrt mit der Gaucha führte uns ins Digre-Telta im Norden von Buenos Aires und wie es der Zufall will, trafen wir bei unserem ersten Tankstopp überhaupt direkt ihre Zwillingschwester neben uns an der Zapfsäule – was ein Zufall, unglaublich! Die erste längere Ausfahrt mit der ganzen Familie ging nach Junín, wo wir das ganze Wochenende verbrachten. Kurz nach Buenos Aires machten wir in Luján halt, wo eine der bedeutendsten Kirchen des Landes steht, die gleichzeitig eine beliebte Pilgerstätte ist – unter anderem auch, um Autos den göttlichen Segen zu erteilen. Das ließen wir uns natürlich nicht nehmen und tauften sie direkt vor der Kirche parkend: Auf dass sie uns noch lange treu erhalten bleibt und uns stets beschützt und sicher ans Ziel bringt. Auf der weiteren Fahrt ging es dann zum ersten Mal für eine längere Strecke aus der City raus und schnell war klar: Auf der Ruta (Landstraße) fühlt sich die Gaucha sehr wohl und läuft trotz ihrer Rustikalität sehr geschmeidig. Der Wind bläst einem bei heruntergelassenen Fenstern ins Gesicht, bei gechillten 90 km/h mit einem Mate-Tee in der Hand – sehr entspanntes Reisen, so lässt es sich definitiv aushalten! In den letzten Wochen vor unserer Reise folgten mehrere Besuche bei Gastón in der Werkstatt, um die Gaucha final reisefertig zu machen: ab und zu verlor sie über Nacht etwas Öl, die hintere Türe ließ sich nicht einwandfrei schließen, ein paar elementare Ersatzteile und Werkzeuge wurden aufgerüstet und nochmals alle Flüssigkeiten gewechselt. Dank der großartigen Arbeit von Gastón und unserer akribischen Vorbereitung konnte es dann am 01.11.2021 endlich los gehen auf unseren 100 Tage langen und 15.000 km weiten Roadtrip durch das wundervolle Patagonien.
Die ersten Tage auf Tour in der Gaucha waren sicherlich ganz speziell. Das erste Mal Rast machen, das erste Mal tanken, das erste Ziel ansteuern, zum ersten Mal in ihr Einschlafen und Aufwachen. All diese Momente sind mit besonderen Erinnerungen verbunden. Das schönste nach den ersten Tagen: Sie gibt einem ein verdammt sicheres Gefühl – egal ob auf oder abseits der Straße, als Schlafgemach oder als Unterschlupf bei Regen und Sturm. Nach den ersten Stopps in Tandil und an den Stränden von Pehuen-Co und Las Grutas stand der erste längere Aufenthalt auf der Halbinsel Valdez an. Mitten im Nationalpark waren auf mehr oder weniger befahrbaren Schotterpisten zum ersten Mal ihre Offroad-Skills gefragt – doch sie meisterte alle Prüfungen mit Bravour. Damit war klar: Mit ihr werden wir auf jedem Terrain voran kommen! Anschließend ging es auf der legendären Ruta 25 für viele hundert Kilometer durch wüstenähnliche Landschaft, völlig abseits der Zivilisation. Unerwartet schnell gerieten wir in eine prekäre Situation was die Diesel-Beschaffung anging. Aufgrund ihres Alters verträgt sie nur den alten, herkömmlichen Diesel, der leider an manch kleinen Tankstellen nicht zu bekommen ist. Hier stellte sie dann das erste Mal ihr enormes Fassungsvermögen unter Beweis. So trieb uns die schier endlose Fahrt mit mehreren Tankstellen ohne Diesel zwar die Schweißperlen auf die Stirn, die Tanknadel hielt sich aber viel länger als gedacht im grünen Bereich. Von diesem Tag an war klar, dass wir mit einem vollen Tank auf asphaltierter Ruta bei vollaufgepumpten Reifen mindestens 800 km weit kommen würden und ab sofort wurde nach jedem Auftanken der laufende Kilometerzähler auf 0 gestellt, um einen aktuellen Überblick zu haben. Mit gut aufgepumpten Reifen auf der asphaltierten Ruta verbraucht sie auch überraschend „nur“ knapp 9,5 Liter. Anschließend standen die ersten patagonischen Berge an und auch hier beweis die Gaucha enorme Kletterqualitäten. Im ersten Gang bewältigt man quasi jede Steigung – völlig egal wie schlecht die Route, wie groß die Felsbrocken unter einem oder wie eng die Haarnadelkurve auch ist: aufwärts geht’s immer und den Differenzialblock, den man in Ausnahmesituationen bei extremen Steigungen oder im tiefen Sand bzw. Matsch einlegen kann, mussten wir bisher noch nie benutzen. Den Hügeln folgte direkt die krasse Regenprobe. Drei Tage heftiger Dauerregen im Nationalpark Los Alerces prüfte alle Dichtungen der Gaucha auf Herz und Nieren. Und auch wenn der Regen zum Teil enorm auf das Alu-Dach prasselte, war eins klar: Trocken bleibt man in der Gaucha zu 100 %. Ein weiteres Privileg, welches bei ihrem Alter sicherlich nicht selbstverständlich ist. Dann folgte die legendäre Schlüssel-Angel-Aktion in Lago Puelo, die uns einmal mehr klar machte: Leicht haben es Langfinger, die es auf mögliches Diebesgut in der Gaucha abgesehen haben definitiv nicht. Die Fenster lassen sich, auch wenn sie nur einen Spalt offen sind, von außen nicht bewegen – wie wir schmerzhaft feststellen mussten =) In Bariloche und Umgebung fühlten wir uns mit der Gaucha dann plötzlich gar nicht mehr allein, fahren hier doch einige Defender durch die bergige Gegenden. Auch im südlicheren Patagonien um die Gletschergebiete El Chaltén und El Calafate stießen wir immer wieder auf Defender-Kollegen, die uns aber durchweg um den hervorragenden Zustand der Gaucha beneideten. Erst auf der Überreise nach Feuerland gab es zum ersten Mal überhaupt ein Problem: Die Elektronik spielte etwas verrückt und ließ zunächst den Blinker und später auch die Tankanzeige ausfallen. Zum Glück konnten wir es, nach einer mulmigen Überfahrt, in Ushuaia bei einem Elektriker aber beheben lassen und sind seit dem wieder mit bester Elektronik unterwegs. Auf der Rückfahrt bewies die Gaucha dann, dass sie durchaus für Mehr geeignet ist: Vier Personen mit vollem Gepäck finden gut Platz in ihr und meistern auch zum Teil enorm starke Windböen sowie wellige Fährüberfahrten problemlos. Auf der Ruta 40 gen Norden gab es dann nach langer, enorm steiler und kurviger Bergabfahrt ein zweites Mal Probleme: Dieses Mal waren es die Bremsen, die heiß gelaufen waren und unter stinkendem Qualm ausfielen – zum Glück waren wir da schon unten angekommen! Nach kurzer Verschnaufpause und einem Mechaniker-Check am nächsten Tag gab es aber grünes Licht und so konnten wir die Rückreise nach Buenos Aires sicher antreten. Abschließend bewies sie an den zahlreichen Stränden an der Atlantik-Küste auch noch ihre Beach-Qualitäten: So kann man mit ihr problemlos auch durch feinen Sand cruisen und muss sich dabei so gut wie keine Gedanken übers Feststecken machen. Zurück in Buenos Aires macht sie auch in der quirligen City eine gute Figur, auch wenn sie hier ein echter Hingucker ist und die Blicke merklich auf sich zieht. So begeistert sie uns Tag um Tag aufs Neue mit ihren vielen Facetten und ist mittlerweile nicht mehr wegzudenken aus unserem Trip und unserem Leben hier! Gaucha, wir <3 dich!
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